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Wunderhorn

Seit seiner Gründung im Jahr 1978 bietet Wunderhorn ein anspruchsvolles Programm mit den Schwerpunkten deutsche und internationale Poesie, deutschsprachige und internationale Literatur, Sachbuch, Kunst, Fotografie, Titel zur Stadt Heidelberg und Region.

Weitere Informationen finden Sie hier: www.wunderhorn.de

LYRIKEMPFEHLUNGEN 2020

Eine Orientierungshilfe im Dschungel der Neuerscheinungen bieten die Lyrik-Empfehlungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Zehn Lyrikexpert*innen wählen deutschsprachige und ins
Deutsche übersetzte Gedichtbände aus, die sie für besonders empfehlenswert halten. Wir freuen uns, dass Koleka Putuma (Südafrika) und Arne Rautenberg mit dabei sind.

Koleka Putuma: Kollektive Amnesie

Aus dem Englischen von
Paul-Henri Campbell

Dinge gehen kaputt, dann kann man sie reparieren, und auf das Sterben folgt die Auferstehung. Aber wenn etwas verloren geht, dann … Dann gnade dir Gott. Koleka Putumas Gedichte öffnen den Blick dafür, dass »neu« Angst bedeuten kann, nicht etwa, weil man die Veränderung fürchtet, sondern weil die Mittel nicht reichen, weil die Geschichte noch immer verletzt und sich in den Körper eingeschrieben hat. Putuma dichtet Zeilen zwischen queerer Lust und Levitikus 20:13, zwischen kolonialer Vergangenheit und einer Gegenwart, aus der Sauerstoffmasken fallen. Wir fallen mit.
Empfehlung von Nora Bossong

2020, 204 S., EUR 20,00
ISBN 978-3-88423-613-0
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Arne Rautenberg: permafrost

Unter der spielerischen Oberfläche dieser Gedichte liegt ein existentieller Ernst, der sich mit dem Verschwinden, der Vergänglichkeit, der ständigen Veränderung konfrontiert. Die Dinge bleiben
nicht, wie die Gewohnheit sie gerne hätte, und auch nicht die Lebewesen, die Menschen. Angst kann daraus erwachsen, Gewalt, ein destruktives politisches Handeln. Sich dies ohne Illusionen anzuschauen macht die Kraft dieser Texte aus, keinen falschen Trost zu suchen in der Imagination, sondern den Einzelheiten, den flüchtigen Begebenheiten ihr Recht zu lassen und sie damit zu Ereignissen zu machen. permafrost ist eine Erinnerungstechnik, die die fließende Welt zu bannen und zu bewahren sucht, indem sie einen Eispanzer um das Vergangene legt. Und so gelingt es tatsächlich, diese Welt noch einmal festzuhalten, vorzuzeigen, in ihrer Nähe zu bleiben, weiterzulieben. Radikal und anrührend, freundlich, wahrhaftig.
Empfehlung von Marion Poschmann

2019, 88 S., EUR 20,00
ISBN 978-3-88423-614-7
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Karolina Golimowska, Alexander Gumz, Thomas Wohlfahrt (Hg.): VERSschmuggel / reVERSible

Auch das poesiefestival berlin und sein Übersetzungsprojekt VERSschmuggel/reVERSible wurden dieses Jahr in einen digitalen Ausnahmezustand versetzt. Im Fokus stand Gegenwartslyrik aus Kanada und Québec. Sechs Dichter*innen aus dem deutschsprachigen Raum trafen coronabedingt in virtuellen Räumen auf sechs französisch- und sechs englischschreibende kanadische Dichter*innen. Auch indigene Sprachen Kanadas spielen in den vorliegenden Gedichten eine wichtige Rolle. Online tauchten die Autor*innen in Workshops und Gesprächen in die poetisch und kulturell reichen Verse ihres Gegenübers ein. Mit Hilfe interlinearer Übersetzungen und Sprachmittler*innen wurden sie in die andere Sprache »geschmuggelt« – trotz geschlossener Grenzen und der Isolation jedes Einzelnen.
Der Mehrsprachigkeit Kanadas trug der diesjährige VERSschmuggel Rechnung, indem alle beteiligten Dichter*innen in allen Projektsprachen arbeiteten. Vermittelt wurde so nicht allein zwischen den poetischen Welten auf beiden Seiten des Atlantiks, sondern auch innerhalb der verschiedenen Sprachkulturen Kanadas.
Die Ergebnisse dieses intensiven poetischen Transfers, der in einer Zeit, in der sich Länder massiv gegeneinander abschotten, wichtiger denn je ist, werden in guter analoger Tradition in dieser dreisprachigen Anthologie präsentiert.

Mit Gedichten von Martine Audet, Monique Deland, Adam Dickinson, Daniel Falb, François Guerrette, Nancy Hünger, Aisha Sasha John, Maren Kames, Natasha Kanapé Fontaine, Canisia Lubrin, Tristan Malavoy, Pierre Nepveu, Kerstin Preiwuß, Sandra Ridley, Lisa Robertson, Armand Garnet Ruffo, Levin Westermann, Ron Winkler.

Karolina Golimowska leitet seit 2019 die Lyrikübersetzungswerkstatt VERSschmuggel beim poesiefestival berlin, bei dem auch die in dieser Anthologie enthaltenen Übersetzungen entstanden sind. Sie ist Autorin von Kurzprosa sowie journalistischen Texten und Konferenzdolmetscherin und Übersetzerin. Die promovierte Amerikanistin lehrt zudem an der Freien Universität Berlin. 2014 wurde sie mit dem Deutsch-Polnischen Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreis ausgezeichnet.

Alexander Gumz ist Redakteur und Veranstalter für das poesiefestival berlin, das ZEBRA Poetry Film Festival und den KOOK e. V., Mitgründer der Literaturnacht HAM.LIT in Hamburg, der Lyriknacht Teil der Bewegung in Leipzig und Frankfurt/Main und des Literaturfests Wortgarten in der Uckermark. Für seine Gedichte erhielt er u. a. den Clemens-Brentano-Preis, Stipendien des Berliner Kultursenats und der Villa Aurora, Los Angeles. Zuletzt erschien sein Gedichtband barbaren erwarten.

Thomas Wohlfahrt ist Gründungsdirektor des Hauses für Poesie, ehemals Literaturwerkstatt Berlin, und leitet sie seit 1991. Der promovierte Literatur- und Musikwissenschaftler initiierte und leitete internationale Großprojekte wie den Literatur Express Europa 2000, die Website lyrikline.org, das ZEBRA Poetry Film Festival und das poesiefestival berlin. Er ist Mitglied vieler nationaler wie internationaler Gremien und kuratiert und berät verschiedene internationale Literatur- und Kunstprogramme. Er ist Träger des Grimme-Online-Awards.

Karolina Golimowska, Alexander Gumz, Thomas Wohlfahrt (Hg.)
VERSschmuggel / reVERSible
Poesie aus Kanada und Deutschland
dreisprachig englisch-deutsch-französisch
240 Seiten, Klappenbroschur
EUR 20,00 (D), 20,60 (A)
ISBN 978-3-88423-640-6
Erscheint im Oktober 2020