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POESIEGESPRÄCH: ATHENA FARROKHZAD UND KOLEKA PUTUMA

Das Herz lässt sich nicht aus freiem Willen beugen wie ein Knie

Von Rassismus und Revolution und der politisch-poetischen Verankerung der eigenen Geschichte in der großen Geschichte. Im Gespräch mit der Dichterin und Verlegerin Daniela Seel.

DS: Liebe Athena, liebe Koleka, ich hatte mich sehr darauf gefreut, Euch beim diesjährigen poesiefestival berlin zu treffen und mich mit Euch zu unterhalten. Stattdessen müssen wir nun leider ein Email-Interview führen. Ich möchte mit einer offenen Frage beginnen: Was beschäftigt Euch in diesen Tagen, worüber wäre Euch wichtig zu sprechen?

Koleka Putuma: Ich bin noch nie so ruhig gewesen. Die letzten zwei, drei Jahre war ich geradezu manisch beschäftigt, habe tausend Sachen gemacht. In vielerlei Hinsicht frustrieren mich die Restriktionen und Herausforderungen dieser Pandemie, aber ich bin auch dankbar dafür, dass sie mich gezwungen hat, eine Pause einzulegen und darüber nachzudenken, was mir wirklich wichtig ist, worum ich mich zu lange nicht gekümmert habe.

Athena Farrokhzad: Wie für Koleka und für viele andere war mein Leben in diesem Frühling ziemlich ruhig. Ich mache mir weniger Sorgen um meine eigene Situation als vielmehr um die ohnehin schon prekären Lebensumstände vieler Menschen in Schweden – wo ich lebe – und in der Welt, die sich durch die Pandemie weiter rapide verschlechtern.

DS: Athena, Koleka, Euer beider Werk beschäftigt sich intensiv mit politischen Themen, dringenden Themen – Rassismus, Einwanderungspolitik, kolonialistische Altlasten und kulturelle Herkunft, Feminismus, Ungerechtigkeit, Empowerment – die in diesen Tagen einer globalen Pandemie von den politischen Agenden so gut wie verdrängt wurden. Wie lauten Eure Antworten auf diese Fragen – als Dichterinnen, als Aktivistinnen?

KP: Geschlechtsspezifische Gewalt / Femizid ist in Südafrika ein großes Problem. Daher war es seltsam zu sehen, wie viele Fälle es im Land gibt, und zu beobachten, wie diese Zahlen stetig steigen – aber auch zu hören, zu erfahren, dass die Zahl häuslicher Misshandlungen und geschlechtsspezifischer Gewalt seit dem Lockdown nochmal erheblich zugenommen hat. Weil es hier in Südafrika aber ein so gewaltiges Ungleichheitsproblem gibt, lag der Schwerpunkt eher auf dem Zusammenhang von Pandemie und Wirtschaft als auf der Gewalt gegen Frauen und Kinder, die auch zugenommen hat. Neulich habe ich im Radio gehört, dass in einer Woche 120.000 Frauen bei der nationalen Hilfshotline angerufen haben – doppelt so viele wie sonst. Es ist beängstigend und schmerzlich zu begreifen, dass die Pandemie nicht das einzige ist, woran Menschen in diesem Land leiden und sterben.

AF: Ja, genau. Ich denke, was in jeder nationalen oder globalen Krise deutlich wird – insbesondere in denjenigen, von denen behauptet wird, sie beträfen alle gleichermaßen (diese „Wir sitzen alle im selben Boot“-Rhetorik) – ist die Tatsache, dass sie unterschiedliche Menschen unterschiedlich trifft. Frauen und LGBTQ-Menschen werden sofort zu Zielen zunehmender Gewalt, die ohnehin arme und oft rassifizierte Arbeiterklasse verliert das Wenige, das sie hatte, usw. Gleichzeitig sind Krisen immer auch Phänomene, die zu einem schnellen Wandel in eine positive Richtung führen können, auch wenn das eher selten passiert. Wir sehen, wie heilige Prinzipien der Marktwirtschaft – Dinge, von denen uns gesagt wurde, sie könnten sich nie ändern, weil sie natur- oder gottgegeben seien – in Frage gestellt und manchmal sogar verworfen wurden. Persönlich war es für mich interessant zu beobachten, wie unterschiedlich Menschen auf Notlagen reagieren. Diejenigen unter uns, die Migranten sind oder aus anderen Gründen instabile Lebensbedingungen kennen, sind es gewohnt, dass ihnen immer wieder der Boden unter den Füßen weggefegt wird, und wissen, wie man unter solchen Umständen zumindest emotional agiert.

DS: Vielleicht eine etwas persönlichere Frage: Eure beiden Bücher – Kolekas „Kollektive Amnestie“ (übersetzt von Paul-Henri Campbell) und Athenas „Bleiweiß“ (übersetzt von Clara Sondermann) – sind kürzlich erschienen, Eure ersten Bücher auf Deutsch. Ihr hättet beide Lesetouren durch verschiedene deutsche Städte unternommen. Jetzt werden Live-Kulturveranstaltungen fast vollständig ausgesetzt, und es ist unwahrscheinlich, dass ihr noch 2020 wieder vor einem Publikum auf der Bühne stehen werdet. Was haltet ihr von dieser Pause im Festivalzirkus – bedauert Ihr sie oder ist es auch eine willkommene Zeit, sich zu erholen, nachzudenken und zu schreiben?

KP: Ein Teil von mir begrüßt diese Pause. Ich denke auch, dass viele weltweit bestehende Strukturen überdacht und neu formiert werden müssen. Es gab etwas an all unseren früheren „Normalzuständen“, das entweder gar nicht oder nur für wenige funktionierte. Und so hat diese Pandemie den Problemen und Kämpfen der Ausgegrenzten/Schwächsten eine Art Lupe gereicht, und eine Gelegenheit, diese Dinge anzusprechen.

DS: Welche Dinge?

KP: Ungleichheit, geschlechtsspezifische Gewalt, Armut und die Art und Weise, wie das kapitalistische System vor allem Weißen, Reichen und denjenigen zugute kommt, die von den Strukturen der Apartheid und des Kolonialismus profitiert haben und immer noch profitieren.

AF: Ja, da stimme ich zu. Persönlich mag ich es sehr zu reisen und Publikum in neuen Ländern zu treffen. Für mich ist es genauso wichtig, mit anderen Menschen über Literatur zu sprechen, wie selbst zu lesen und zu schreiben. Aber natürlich gründet Literatur auf denselben Machtstrukturen wie der Rest der Welt.

DS: Für euch beide waren die jetzt in Übersetzung erschienenen Bücher eure Debüts. Beide befassen sich unter anderem mit dem Kampf um die Emanzipation junger Frauen von ihrem Familienerbe, während sie gleichzeitig an Familienwerten und an Liebe festhalten. Doch habt ihr euch für ganz entgegengesetzte Erzählstrategien entschieden. In „Bleiweiß“ ist die Tochter Adressatin eines Familienchors, das ganze Gedicht in Buchlänge besteht aus Sätzen, die beginnen: „meine Mutter sagte –“, „mein Vater sagte –“, „meine Großmutter sagte –“, „mein Onkel sagte –“, „– sagte mein Bruder“. Sie spricht aber nicht selbst, ihre Stimme, ihre Haltung zeigt sich allein im zusammengefügten Ganzen – eine ziemlich radikale Aussage. In „Kollektive Amnesie“ hingegen ermächtigt sich die Ich-Person, über schwierige Dinge zu sprechen, wie etwa, als lesbische Tochter eines Pastors in einem homophoben Umfeld aufzuwachsen. Wenn Ihr zurückdenkt: Wie haben sich diese Erzählstrategien entwickelt?

KP: Ich bin eine Autorin, die sukzessive über die Zeit arbeitet, in kleinen Abschnitten schreibt. Die Gedichte im Band sammelten sich im Laufe der Zeit an, aber selbst bei einzelnen Gedichten dauerte es manchmal eine Weile, bis ein Gedicht sich zusammengefügt hatte. Meine Praxis als Theatermacherin beinhaltet auch Zusammenarbeiten, das Erstellen von Geschichten gemeinsam mit anderen Menschen. Das beeinflusst auch, wie ich über das Geschichten-Erzählen und das Geschichten-Teilen generell denke. Die meisten dieser Gedichte wurden geschrieben und dann in einer Performance-Umgebung geteilt, oder geschrieben und dann mit einem Herausgeber oder einem vertrauenswürdigen Leser weiterentwickelt. Die Tatsache, dass ich auch eine Dichterin bin, die ihre Arbeit live aufführt, hat mich zu einer mutigeren Schriftstellerin gemacht, weil ich denke, dass das Teilen uns dazu zwingt, mutig und verletzlich zu sein – zuerst sich selbst gegenüber, dann gegenüber anderen.

AF: Während ich „Bleiweiß“ schrieb, war ich sehr damit beschäftigt, Wege zu finden, um Raum für die Erfahrungen von Revolution, Krieg, Migration und Rassismus in der Poesie im Allgemeinen und in der schwedischen Poesie im Besonderen zu schaffen. Ich fühlte mich damals ziemlich einsam, da diese Themen in der schwedischen Literatur sehr selten waren, insbesondere, wenn sie von einer Frau geschrieben wurde. Ich fühlte mich für all diese ungehörten Geschichten verantwortlich und fragte mich, wie ich so viele wie möglich davon schreiben könnte. Ich machte mir Gedanken, wie ich diese Erfahrungen auf polyphone Weise schreben könnte, da das Interessante an ihnen ist, dass dieselbe Erfahrung das Leben verschiedener Menschen auf verschiedene Weise beeinflussen kann. Für mich ist die Familie in „Beiweiß“ eine Möglichkeit, diese Pluralität zu zeigen, und infolgedessen geht es in dem Buch nicht so sehr um die Erfahrungen der Revolution usw., sondern vielmehr darum, wie diese Erfahrungen im Rahmen von Intimität verhandelt werden. Es geht nicht um eine ganze Geschichte, sondern darum, diese Verhandlungen über die Erzählung zu veranschaulichen. Diese Familie ähnelt auch Mitgliedern eines griechischen Chores, die sich nicht wirklich in die Geschichte einmischen können, sondern sie nur kommentieren, wie ein antiker Sportkommentator. Gleichzeitig besteht das Buch nur aus einem Ich, da das Ich die Person ist, die den Familienmitgliedern Zeilen zuschreibt und sagt: Meine Mutter sagte, usw.

DS: Ein weiteres gemeinsames Thema ist Gewalt. Die Gewalt von Glaubenssystemen, von Macht, von Staaten, von Werten; Gewalt gegen Körper, Seelen, Gedächtnis. Koleka, du schreibst: “Mit dem Evangelium / bricht das Weiße in unsere Häuser ein / und zwingt uns auf die Knie”. Athena, du scheibst: “Mein Vater sagte: Erst wenn du dem vergibst der dich verraten hat weißt du was Gewalt bedeutet”. Warum ist es so wichtig, Gewalt in Gedichten zu behandeln?

KP: Ich denke, Gewalt ist in die Faser jeder Gesellschaft eingewoben, und über den Zustand unserer Existenz und unseres Seins und unseres Werdens zu sprechen, bedeutet, darüber zu sprechen, wie wir mit all den Gewalttaten, mit denen wir koexistieren, in Verhandlungen, in eine Art Tanz treten – seien sie klein oder groß, öffentlich oder persönlich. Und manchmal sind die privaten und öffentlichen Gewalttaten verbunden miteinander, und wir können uns oder unser Leben nicht davon trennen. Für mich ist es wichtig, über die Gewalt der Kolonialisierung und die Auswirkungen zu schreiben, die sie damals nicht nur auf unser Land, sondern auch auf meine Familie hatte. Das Christentum, in oder mit dem ich aufgewachsen bin, wirkte sich auf mein eigenes Verständnis von Identität und Sexualität aus, und ich habe diese Dinge anschließend sowohl privat als auch öffentlich verhandelt.

AF: Mein Buch besteht aus vielen Zeilen, die ziemlich harsch sind und von den Familienmitgliedern an die Tochter gesprochen werden. Die Zeile, die Du zitierst, Daniela, ist eine der harschesten. Für mich ist es ein Bild des Vaters, der versucht, zwischen struktureller Gewalt (die sehr real ist) und tatsächlicher körperlicher Gewalt zu unterscheiden. Ich stelle mir einen politischen Gefangenen vor, der unter Folter einen Kameraden verrät. Diese Person ist selbst Folter ausgesetzt und in dem Moment, in dem sie die Bedeutung von Gewalt erlebt und das, was sie einem Menschen antut, vergibt sie der Person, die sie verraten hat. Mein Buch beschäftigt sich mit Gewalt in vielerlei Hinsicht: kolonialer Gewalt, sprachlicher Gewalt usw. und insbesondere der Verbindung zwischen ihnen.

DS: Koleka, neulich las ich deine Zeilen: „Denn in unserer Imagination / waren wir gebräunte Leiber, / die wie Könige lebten in den Häusern der Weißen. / … / Wir bestellten Desserts, deren Namen wir nicht aussprechen konnten / mit Akzenten, die nicht unsere waren“. Sie erinnerten mich an etwas, das Divya Victor (in deutscher Übersetzung in „Scheingleichheit“, dt. von Lena Schmidt, Merve 2020) verhandelt – Entschuldigung für die langen Zitate:

„Man könnte im Changieren zwischen zwei vorgeschriebenen Rollen – Freak Show Darstellerïnnen eines hegemonialen Alphabets oder virtuose Meister desselben – eine Verhandlung (…) gegen die kolonialen »Sanktionen « (in diesem Kontext ein interessantes Januswort) des eigenen Werdens führen. Jamaica Kincaid stellt diese von der Realität der Dekolonialisierung artikulierte Szene so vor: »[Ich schreibe] in der einzigen Sprache, [die uns] bleibt, um von diesem Verbrechen zu sprechen… der Sprache des Verbrechers, der das Verbrechen begangen hat.« Das Englische ist in der Tat eine Institution, für die ich die forensische Arbeit erledige. Ich wische Blut und Eingeweide auf, um aus einer Leiche wieder einen unversehrten Körper zu machen – ein unmögliches Unterfangen.“

Und: „Folglich muss sich eine Poetik aus der Abstreifung dieser Unterdrückung entfalten – und auf diese Unterdrückung reagieren –, eine Poetik der ungeeigneten Zunge ist auch eine Poetik der angeeigneten Zunge – eine, die sich die Zungen Anderer leiht, ausprobiert ob sie passen, stiehlt, plündert, fröhlich assimiliert oder mutig austestet, im lebendigen Fleisch, durch Bauchreden. Die Mimikry des »menschlichen Chamäleons« setzt sich durch mich fort, doch es ist auch möglich, Mimikry als Ironie zu verstehen – zu grinsen und es nicht mehr zu ertragen (…)

Eine Poetik der Bauchredens erkennt den außerordentlichen Genuss und den außerordentlichen Druck an, den das Überleben mit unpassenden Zungen mit sich bringt, mit dem gelebten Unbehagen – die Nähte, die nicht passen – nicht nur mit einem geliehenen bilingualen Status, sondern auch mit dem rücksichtslosen Vernähen von Whiteness mit der Vorstellung einer monolingualen amerikanischen Mundart klarkommen zu müssen.“

Meine Frage an euch: Wie steht ihr zur Entkolonialisierung der Sprache?

KP: Das ist ein Gespräch, das derzeit nicht nur in Südafrika, sondern weltweit geführt wird, denke ich. Es ist ein Gespräch über die Notwendigkeit und Dringlichkeit, unsere Muttersprache zu bewahren und sicherzustellen, dass der Stolz und das Wissen, in der Muttersprache oder der „Heimatsprache“ zu sprechen, den Jugendlichen, den Kindern im Rahmen von Lehrplänen usw. vermittelt wird, und zwar nicht als Ersatz fürs Englische, sondern als gegebene, als Standardpraxis – als etwas, das einfach ist. Es gibt auch Fragen danach, welche Rolle Englisch im Leben / in der Existenz von mehrsprachigen Sprechern spielt, oder Sprechern, für die Englisch nicht die Muttersprache ist. Was bedeutet Englisch für diese Sprecher*innen? Wie dient es ihnen, wie können sie es benutzen? Und was hat es ihnen geraubt – wenn es ihnen etwas geraubt hat? Das Konzept der Entkolonialisierung von Sprache hat nicht nur damit zu tun – es spricht sich nicht bloß dafür aus, das Englische abzuschaffen oder die Art und Weise, wie wir unterrichtet werden, zu entwerten, oder auf das Englische zuzugreifen oder gar auf Englisch die Welt zu navigieren – und wie diese Verhandlungen unsere Identität und unsere Geschichte entweder unterstützen oder gefährden. Ich kämpfe mit diesen Fragen und Ideen und auch damit, wie Sprache verwendet werden kann, um Bedeutung, Denken, Wissensproduktionen und Kommunikation zu dekonstruieren. Wie kann Sprache als Waffe, als Rüstung eingesetzt werden, was kann sie uns antun? Wie kann sie manipuliert werden, und als Werkzeug verwendet werden um zu protestieren, zu stören, um etwas rückgängig zu machen oder aufzulösen? Als mehrsprachig sprechender Mensch, deren dritte Sprache Englisch ist, schreibe ich die meisten meiner Texte auf Englisch und setze mich natürlich mit solchen Gedanken auseinander.

DS: Athena, das bringt mich zu deinen Zeilen „Mein Bruder sagte: Um das Verbrechen zu verurteilen bleibt dir nur die Sprache der Verbrecher / und die Sprache der Vebrecher wurde erfunden um das Verbrechen zu rechtfertigen“. Deine Sprachmigration von Persisch nach Schwedisch hat keine vergleichbare Kolonialgeschichte – mit welchen Schwierigkeiten siehst du dich konfrontiert, wie arbeitest du damit?

AF: Ja, das ist eine Schlüsselzeile in „Bleiweiß“, die dem Bruder zugeschrieben wird. Es ist direkt von dem Zitat aus Jamaika Kincaid inspiriert, das Du erwähnt hast. Ihr Buch „A Small Place“, aus dem das Zitat stammt, ist eine meiner wichtigsten Lektüren. Ich wollte noch weiter gehen und sagen, dass die Sprache manchmal nicht nur dem Verbrecher gehört, der das Verbrechen begangen hat. Manchmal ist es noch schlimmer: Manchmal werden die Sprachen selbst erfunden, um Verbrechen zu rechtfertigen. Etwa, um die Rolle von Kunst und Wissenschaft in der Geschichte des Kolonialismus zu bestimmen. Während ich mein Buch schrieb, habe ich mich intensiv mit der Idee beschäftigt, Gedichte in der Sprache des Henkers zu schreiben – und der Traurigkeit, in der jemand gefangen ist, wenn sie versucht, Schönheit zu schaffen aus etwas, das so eng mit der Unterdrückung verbunden ist, der sie selbst ausgesetzt ist. Ich habe nie wirklich eine Sprachmigration durchgeführt, ich habe mein ganzes Leben über mehrsprachig gelebt. Der koloniale / rassistische Sprachkontext hat in meinem Fall nicht so viel mit der Beziehung zwischen Persisch und Schwedisch zu tun. Es geht vielmehr um die koloniale / rassistische Geschichte Schwedens, die sich in der schwedischen Sprache ausdrückt, die Gewalt und die Einschlüsse / Ausschlüsse der Vergangenheit und Gegenwart, die in Teilen durch die Sprache aufrechterhalten werden.

DS: Es gibt auch viel Trauer und Wut in Euren Gedichten, die von jenen Orten her stammen, über die ihr eben gesprochen habt, und von anderen Orten. Aber Poesie als Ort der „emotionalen Arbeit“ ist ebenso notwendig wie ambivalent und wird immer noch anders gesehen, wenn sie von weiblichen (PoC) Schreibenden kommt.
Koleka, an einer Stelle sagst du: „Ich schreibe übrigens auch Liebesgedichte. / Aber du willst meinen Mund bloß aufgerissen in Protest sehen“. Und Athena, du hast einmal gesagt, du interessierst dich für eine Intimität, die soziale Regime aufzeigt. Würdest du dem zustimmen, Koleka? Und wie gelangst du dorthin?

KP: Über das Persönliche zu sprechen bedeutet zugleich, Politisches zu enthüllen, denke ich. Und ich denke, mit meinen eigenen Kämpfen als schwarze queere Frau verwundbar zu sein, bedeutet, die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen heran zu zoomen, die sich auf meine Existenz, meine Erfahrungen usw. auswirken, und auf andere Menschen wie mich.

AF: Ja, ich denke, Intimität ist oft ein Schlachtfeld der Politik, und umgekehrt. Ich war schon immer daran interessiert, wie sich Makropolitik in privaten Situationen zeigt, hinter verschlossenen Türen.

DS: Was ist mit deiner Politik der Spiritualität, Athena? Einige deiner Zeilen lesen sich wie (Anti-)Gebete.

AF: Ich weiß nicht viel über Spiritualität außerhalb von Sprache. Für mich hat Erhabenheit etwas, nach dem Poesie (in allen Genres) immer strebt – dieses Gefühl plötzlicher Bedeutung und Verbundenheit. Ich denke, näher als auf diese Art werde ich so etwas wie dem Heiligen nie kommen. Wiederholung und Rhythmus sind natürlich eng damit verbunden.

DS: Eine letzte Frage vielleicht: Was haltet ihr davon, verstanden zu werden?

KP: Es ist mir nicht wirklich wichtig, verstanden zu werden, zumindest nicht auf herkömmliche Weise. Menschen werden deine Gedichte immer im Kontext ihrer eigenen Überzeugungen und Erfahrungen usw. lesen, und daher ist auch die Bedeutung deiner Arbeit oder die Art und Weise, wie Menschen Bedeutung ableiten, immer damit verbunden. Es ist mir wichtiger, dass Gedichte zu Gesprächen und Debatten führen, als dass sie als anti-was-auch-immer verstanden oder gelesen werden. Wenn Gedichte in Menschen das Bedürfnis entfachen, einen Dialog zu führen – auch wenn es einer mit sich selbst ist – dann bin ich zufrieden.

AF: Ich denke, Verständnis ist eine sehr knifflige Vorstellung, die eng mit Macht verbunden ist. Was bedeutet es, zu verstehen? Gibt es Verständnis, das über das intellektuelle Erfassen von etwas hinausgeht? Kann ein Körper verstehen? Wer ist verständlich? Wer gilt als unklar, wer muss wen verstehen? Ich denke, einer der Hauptgründe für poetische Arbeit ist, dass das Verstehen in einem Gedicht ganz anders funktioniert als in allen anderen Formen von Sprache. In der Poesie, denke ich, besteht der Schlüssel zum Verständnis darin, zu berühren und berührt zu werden.

DS: Koleka, Athena – vielen Dank für dieses Gespräch.

Aus dem Englischen von Katharina Schultens und Alexander Gumz.
Die Originalversion des Poesiegespräches auf Englisch finden Sie auf der Englischen Seite.