Falsche Freunde, Fehler und Versprecher, das Schillern der Wortbedeutungen in der privaten Sprache einer bilingualen Familie – dieses scheinbar belanglose Material verwendet Uljana Wolf, um die Selbstverständlichkeit der Alltagssprache zu unterwandern und die Leserin, den Leser ins genuin poetische Staunen zu versetzen. In ihrem Debüt kochanie, ich habe brot gekauft (kookbooks, 2005) exerzierte sie dies an dem „kleinen grenzverkehr“ zwischen Polnisch und Deutsch. Nun arbeitet die in New York und Berlin lebende Dichterin vor allem mit Englisch und Deutsch. Zu ihren hier präsentierten, noch unveröffentlichten Gedichten inspirierten sie die ersten Worte ihrer Tochter. Diese »Muttertask«-Texte sind, wie immer bei Uljana Wolf, akribisch ausgearbeitet und eminent poetologisch, doch ihr Ton ist zärtlich und spielerisch-leicht geworden: „gib rüstung, glamorgirl, für sprachverflüstung“.
Zafer Şenocak schreibt Prosa, Gedichte, Essays und übersetzt aus dem Türkischen. Seine Meinung zu den Fragen der Interkulturalität ist in den Medien oft gefragt. Doch im Mittelpunkt steht für den türkischstämmigen Autor und Intellektuellen, der 1983 mit einem Gedichtband debütierte, nach wie vor die Lyrik: „Was in den Essays ausgedrückt wird, ist lediglich die nach außen gewandte Seite meiner Literatur. Wege nach innen gehen von der Lyrik […] aus“. In seinen Gedichten verhandelt er Grenzverläufe „mitten durch meine Zunge“ und lässt in seine Sprache Elemente der orientalischen Poetik und märchenhafte Motive einfließen. Eine zentrale Rolle spielen dabei Metaphern, die teilweise sein ganzes Schaffen durchziehen (Haus, Vogel, Reise …). Um eine melancholische Reise weg von einer Geliebten und von dem, „was von Europa übrig blieb“, geht es auch in den hier vorgetragenen Gedichten.
Jumoke Adeyanju ist eine mehrsprachige Dichterin – sie schreibt und performt ihre Texte auf Englisch, Deutsch, Yoruba und Kiswahili –, Tänzerin, DJane und Aktivistin. Das „Hip Hop girl“ legt einen großen Wert auf den kreativen Austausch mit anderen Künstlerinnen und Künstlern. Sie organisiert diverse Veranstaltungsreihen und kulturelle Initiativen, darunter »Poetry Meets Hip Hop«, und ist sehr engagiert in der schwarzen Community in Berlin. Ihre zentralen Themen sind Gemeinschaft, Liebe, Identität, Black Power, Kapitalismuskritik und der Umgang mit der Kolonialgeschichte. Jumoke Adeyanjus Spoken-Word-Texte sind direkt, emphatisch, bisweilen witzig. Ein großes Anliegen ist es für sie, festgeschriebene nationale und soziale Rollen sowie Gendermuster zu hinterfragen. Sie arbeitet stets an der Grenze verschiedener Ausdrucksformen und kreiert durch die Interaktion mit ihrem Publikum immer wieder einmalige, performative Gemeinschaftserlebnisse.
John Ashbery, ein Klassiker der amerikanischen Lyrik des 20. Jahrhunderts, schrieb über Christian Hawkeys Debütband Book of Funnels (Wave Books, 2004), es sei „Landschaftslyrik im wahrsten Sinne der Landschaft – kein Stück Erdoberfläche, das für seine Darstellung posiert, sondern ein offener, diffuser Raum, wo alle möglichen verrückten mentalen und physischen Dinge gleichzeitig ihrem Geschäft nachgehen. Was dabei entsteht ist das Porträt eines Mediums, vergleichbar mit dem, in dem wir leben, mit all seiner Jähheit“. Geschult am amerikanischen Surrealismus und der New York School of Poets, ist Hawkey ein intellektueller Dichter. In seinen Texten vereint er absurde Szenarien, poetologische Überlegungen, Sprachwitz und Gesellschaftskritik. Der Behördengang zu „dem, was wir Botschaft nannten“ kann hier schon mal zu einer Höllenfahrt werden und die Antragsteller zu Überlebenden. „how far / does a border extend beneath the earth / before it becomes earth?“
In den 80er Jahren war er einer der jüngsten und brillantesten Autoren der DDR-Avantgarde im Prenzlauer Berg. In dieser Zeit war der gelernte Grafiker gleichermaßen im Literarischen wie im Visuellen zuhause und gestaltete selbst Samisdat-Bücher mit seinen Text-Bild-Collagen, so etwa in der Faksimileausgabe seiner handgeschriebenen Armeetexte Liebling, mach Lack, (kookbooks 2004) zu bewundern). Nach seinem expressiven Frühwerk, das sich mit poetischen und grafischen Mitteln als „Gegen-Sprache“ am offiziellen Sprachgebrauch abarbeitete, wandte sich Johannes Jansen ganz der Literatur zu und kam zu leiseren Tönen. Seine formell freien Prosagedichte verdichten Alltagswahrnehmungen zu surreal-schlafwandlerischen Reflexionen; Tagesaktuelles – auch aus der heutigen Quarantänezeit – dient als Anlass zu aphoristischen Beobachtungen über Nähe und Distanz zwischen den Menschen und die Modalitäten einer Liebesbeziehung.
Projektleitung: Rudi Nuss | Felix Schiller | Saskia Warzecha
Poets’ Home (Corners) wird freundlich unterstützt durch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg; die Bezirkszentralbibliothek Pablo Neruda; das Instituto Cervantes Berlin; KUIR – queere lyrik in berlin; das Bezirksamt Treptow-Köpenick, Fachbereich Kultur und Museum; MoBe Moving Poets Berlin e.V.; die NOVILLA. Internationales Zentrum für Kunst, Kreativität und Begegnung; das Bezirksamt Pankow von Berlin, Fachbereich Kunst und Kultur; die Brotfabrik Berlin; das Bezirksamt Spandau zu Berlin, Fachbereich Kultur; die Zitadelle Spandau; das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin, Fachbereich Kultur; Schoeler.Berlin und dem Bezirkskulturfonds der Senatsverwaltung für Kultur und Europa.