Mediathek

in den ruinen des BER siedeln wir wölfe an

Anthologie der Young Poems 2020

Ergebnisse der Workshop-Reihe mit Birgit Kreipe.

Gedichte von: Josephine Baetz

bestandsaufnahme der vögel

in diesem abschnitt vibriert sich sekündlich / eine neue formation zurecht / jemand höhlt zwischen wolkenmassen fahrrinnen aus / hin und wieder ein flieger malt bilder / aus rauch auf die struktur / und bohrt uns beim rückzug stählerne flügel in die seiten / eine waffe ein gewaltnebel ein detonierender schatten / die stadt hängt von unten am himmel und zieht / was sie in fängen hält das reißt sich / immer weiter auf // oben sind die wolken ängstlich grau sie zittern vor kälte / wir schweben solange es geht oder / bis zum nächsten durchflugportal / licht und betäubende stille walzen und dehnen die netzhaut / hier wärmt die sonne dem rücken die federn / und dort unten schlägt uns der donner die luft aus den lungen / dazwischen balanciert man / feder an feder gestellt und den blick / auf habacht

in den ruinen des BER siedeln wir wölfe an

am fünfunddreißigsten tag der quarantäne
als uns langweilig geworden war haben wir
sie aus dem zoo geholt langbeinig schlank
mit lungenflügeln aus leichtmetall

ihre pfoten wälzten das gras brüchig
und sie scheuchten beim einzug füchse
und wildschweine vor sich her
mit der bewegung nach süden nahm ihre größe
ab heulend testeten sie das echo
in den einzelnen gebäuden aus hetzten sich
gegenseitig über laufbänder
die ersten paar wochen lang

jetzt sind sie leiser geworden
es ist sommer und sie stehen über pfützen
betrachten ihre pelze zottig geworden der erste
senkt den kopf und kaut das wasser
wie schnee

die anderen bewegen sich zögernder
über das gelände weichen sich aus
einer hält still für fotografen obwohl
in den schwarzweißaufnahmen gelbe augen
fast gar nicht zur wirkung kommen
aber die ohren sieht man aufrecht getragen
das einzig bewegliche im bild

unterwegs wenn ich nicht

aufpasse flimmert alles
vor sich hin dann stell ich gedanklich
die schärfe ein wenn ich konturen will
muss sich einiges ändern mein denken
mein gang & manchmal die gestalt
& dann rempelt von hinten ein wolf
die passanten an die ihn nur deshalb
hund nennen weil er den bürgersteig benutzt

ich sage ihm dass er aufpassen soll
& die ältere dame vor uns fragt was mir
einfällt mir einfach das du zu erlauben
also drehe ich um mit belegten trommelfellen
die mir ständige sirenen schicht für schicht
auf die nervenenden runterwetzen

ich nehme alles in den fokus was sich
zu schnell bewegt & die bilder die ich
zusammensetzen kann scheinen von
hektischer natur
ich will flanieren heute
aber irgendwie komme ich nicht
in den richtigen rhythmus

& ich gebärde mich
etwas zu laut

mandarinente im teltowkanal

dir hat vielleicht keine fee die federn
versiegelt aber kälte macht dich
zum eisbrecher sie hat dich
vor asphaltierten flüssen und
sinkenden bäumen gefeit
in dieser gegend aus wegweisern
und rostigen ufern bist du
noch relativ neu

den abstand hat niemand dir
beibringen müssen
auch das höfliche husten
in die andere richtung
beherrschst du du sprichst nicht mal
viel und hast im geschäft
keine masken weggekauft

aus den bäumen zählst du besucher
reinigst die federn nach jedem gang
ins wasser du erneuerst dich regelmäßig
zur flugunfähigkeit
mit einer konzentration die die zeit
ins straucheln bringt ziehst du
dein prachtkleid an

2020 wurden die Young Poems von Birgit Kreipe angeleitet. Während vier Workshop-Terminen entstanden junge Poesie und Gespräche über Sprachbilder, Perspektiven und poetische Recherche – teils vor Ort, teils digital.

Projektleitung: Karla Montasser

Die Poetische Bildung des 21. poesiefestival berlin wird freundlich unterstützt von RITTER SPORT.